Brutbladd
Flach auf guten Grund gelegt, merke wie es Wurzel schlägt!
Karl Karners Brutbladd Serie
Titelgebend für seine neue Werkgruppe zeichnet das Brutblatt (Bryophyllum), oft auch „Goethepflanze“ genannt. Der Wahl-Weimarer Dichter, Denker und Naturforscher suchte in dem Gewächs das Göttliche und bezeichnete es, aufgrund seiner ungewöhnlichen Vermehrung, auch als „pantheistische Pflanze“.

In Karners neuer Serie tauchen die Brutblatt-Gewächse, in ein mythisch angehauchtes, installatives Setting gesetzt auf, in dem sich ein Netz medialer und materialtechnischer Anspielungen und Verweise entspinnt. Ein sensorisch dichtes Verwirrspiel entfaltet sich zwischen anthropomorphen Aluminiumgüssen, grotesk überzeichneten Kopffüßern, obskuren Fadenmenschen und cartoonhaften Kürbiskopf-Chimären, Feuerschalen und Pflanzgefäßen, in denen es wächst, welkt, brennt, raucht und riecht. In kleinen Aluminiumformen, angerichtet auf ausgerissenen Magazinseiten - Werbeanzeigen und Fotostrecken als medialen Unterbühnen - mixt Karner Materialien und Stoffe, ihren ehemaligen funktionellen Bedeutungsrahmen enthoben, zu paradoxen (Un)Sinngefügen.



Kontrollierte künstlerische Formgebung und provozierte natürliche Prozesse greifen hier ineinander, werden miteinander verhandelt und offenbaren die Arbeiten als scheinbar naive, pseudoexperimentelle Versuchsanlagen, die jedoch keineswegs abgeschlossen oder ausgewertet werden. Die rußige Lebenspatina auf den, durch wiederholtes Befeuern geschwärzten Figuren, die Tomatenpflanze in der Hüfte des langbeinigen Pflanzwesens, die in Eierschalen gesetzten Brutblätter, Lagerfeuer aus Schafsdung und Minibananen erweisen sich viel eher als auffordernde Gesten des Steirers im Umgang mit ihnen. Sie regen an, sie weiter zu befeuern, zu gießen, zu pflegen, verlangen nach Zuwendung, nach Involvement eines Publikums und werfen so auch Fragen zu ihrer Realisierung auf: Was widerfährt ihnen, wenn sie das Ausstellungssetting, den Galeriehof, verlassen, in Sammlungen, „domestizierten“ Environments landen? Werden sie weiter befeuert, befüllt, gegossen...? Und welche Rollen spielen RezipientInnen, als aktiv werdende ProtagonistInnen dabei?
Karner lädt zu einem Grenzgang ein, der angenommene Dichotomien und Oppositionen hinterfragt und Demarkationslinien zwischen Skulptur und biologischer Versuchsanordnung, Objekt und Publikum spielerisch zu verwischen sucht. Er bricht mit Erwartungen, tradierten Rezeptions- und Verhaltensmustern und stellt Rolle und Begriff von (erweiterter sozialer) Plastik/Skulptur genauso in Frage wie jene des Publikums und ihr Verhältnis zueinander. Nur dauerndes Weitertun mit seinen Objekten scheint deren Realisierung - diese wiederum eine fortwährende Aktualisierung der Rolle der, sich ihnen widmenden, Person mit sich zu bringen. In dieser Wechselseitigkeit hinterfragen die Arbeiten sich wie auch das Handeln der jeweils mit ihnen aktiven Person gleichermaßen selbst. Sie vergegenwärtigen uns die eigentliche Ironie der banalen, (häuslich) rituellen Tätigkeiten, die an ihnen vollzogen werden wollen - Brutblatt gießen, Feuer machen - und verweisen darüber hinaus auf soziale und politische Konstruktionen und Wirklichkeitsbeschreibungen, die sich letztlich in ebenso ritualhafter Wiederholung konstituieren.




In dem Verweis auf unsere perpetuierenden Verwicklungen in jene Lebensbereiche, denen Form und Material seiner Experimente entspringen, deutet Karner auch implizit eine Distanzierung von deren Reproduktionen und Repräsentationen an. Produkte und Gesten sich rituell manifestierender gesellschaftlicher, ökonomischer und ökologischer Kreisläufe werden - als pflanzliche, mineralische, chemische, mediale Fragmente - auf ästhetisch-kulturelle Objektkomposte und Scheiterhaufen geworfen, zu exoterischer Symbolmasse. Spannung und Potenzial von Karners Versuchsanordnungen offenbaren sich so auch darin, dass sie uns mit, vordergründig routinierten, Praktiken, Gesten und Erwartungen konfrontieren, mit denen wir einander sowie unseren politisch übersättigten, ökologisch überbeanspruchten und mediatisierten Umwelten begegnen - und dazu animieren, diese zu hinterfragen. Seine Material- und Versuchs- Konstellationen spekulieren dabei vage auf ein, zu praktizierendes, Verlernen von Enkulturiertem, ein Experimentieren mit Formen wilden Denkens, ohne dieses dezidiert zu fordern. Aus dieser Perspektive schließlich scheint es denkbar, im Humus von Karners Objektkomposten, neue Werte-, Erfahrungs- und Bedeutungskreationen zu kultivieren - den Dünger hierfür finden wir ja vielleicht in seinen Pflanztöpfen, dem Schamott in den Bäuchen seiner Aluminiumlabore und der Asche seiner kleinen Öfen und Feuerstätten. Text: Valentin Häckl



